Kommentar von Fabian Bumiller, Praktikant im Bereich „Programmes & Evaluation“
Mitten in der Adventszeit, am 13. Dezember 2022, durften Meike Dressler, Praktikantin bei Laureus im Bereich Kommunikation & Partnerschaften, Juhi Jain, Stipendiatin der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, und ich das von Laureus geförderte Programm HIGH FIVE im Herzen Münchens besuchen. Die Vorfreude auf dem Weg zum Sonderförderzentrum war riesig – schließlich war es für uns die erste Möglichkeit die wertvolle Arbeit eines Sport for Good Programms hautnah und in Action zu erleben.
Das Skate- und Snowboarding Programm HIGH FIVE wurde 2015 gegründet und begleitet sowie unterstützt seitdem Kinder und Jugendliche bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Das klare Ziel: Kindern und Jugendlichen bei der Bewältigung ihrer zahlreichen Lebensphasen Stabilität und Struktur zu bieten und die individuelle Identitätsfindung bis hin zu einer ausgereiften, starken Persönlichkeit zu fördern.
Ein Teil des Programms ist fester Bestandteil des Schulplans bei teilnehmen Ganztagsschulen und findet in festen Gruppen statt. Adrien Hannart, Programmleiter von HIGH FIVE, erklärte mir, dass mittlerweile HIGH FIVE mit über 13 Gruppen an acht verschiedenen Schulen in ganz München vertreten ist. An jeder Schule rotieren die Gruppen untereinander, um zu gewährleisten, dass jedes Kind mindestens einmal alle zwei Wochen an einem Training teilnehmen kann. Auf die Frage, warum ausgerechnet die Sportarten Skate- und Snowboarding eingesetzt werden, lies die Antwort nicht lange auf sich warten: Die Freestyle-Sportarten tragen grundlegende Werte und Fähigkeiten in ihrer DNA. Durchhaltevermögen, Kreativität, Individualität aber auch ein weltoffenes Netzwerk gehören dazu. Verknüpft man dies noch mit kreativen Elementen wie Fotografie oder Videos, schaffen diese Sportarten einen idealen Nährboden für autonome, selbstständige Menschen, so Adrien.
Geht nicht, gibt’s nicht!
Nachdem wir die Halle betraten und die Kinder sich nach und nach einfanden, stellte ich voller Verwunderung fest: Nur sechs Kinder? Aus meiner Schulzeit war ich es noch durchschnittliche Gruppengrößen von 25 Kindern oder mehr gewohnt, verbunden mit einem Unterricht der didaktisch darauf ausgelegt war eine Großgruppe zu leiten, abseits von intensiver individueller Betreuung. Mir wurde klar, dass bei HIGH FIVE der qualitative Fokus auf jedes Kind im Einzelnen eine deutlich höhere Priorität hat als quantitativ möglichst viele Kinder zu erreichen.
Nach einer schnellen gemeinsamen Vorstellungsrunde und einem kurzen Aufwärmspiel teilte Adrien kleine, grüne Hefte mit einem plakativen „HIGH FIVE“- Symbol auf dem Deckblatt an die Kinder aus. Was zuerst aussah wie ein Hausaufgabenheft, entpuppte sich als ein „Self-Check-Guide“. Alle Vorbereitungen, Basics und Tricks mit und ohne Rampe, die man in der Welt des Skatings erlernen konnte, waren aufgeführt und in einzelne Kapitel eingeteilt, abhängig vom Schwierigkeitsgrad der zu erlernenden Fähigkeit.
Getrost konnten Meike, Juhi und ich mit unserer Skate-Erfahrung da anknüpfen, wo die Kinder beim letzten Mal aufgehört hatten – an Level 1. Um etwas Gefühl auf dem Board zu erlangen, baute Adrien einen kleinen Parkour auf, welcher die Grundlagen im Anschieben, Bremsen und Lenken beinhaltete. Außerdem gab es Stationen, an denen Gleichgewicht und Stabilität gefragt waren, zum Beispiel durch einbeiniges Fahren oder einer ein Meter hohen Hochsprungstange, welche es zu Unterfahren galt. Ich selbst stand an diesem Tag das erste Mal in meinem Leben auf einem Board. Ich war beeindruckt, denn ohne zu zögern zeigte mir ein Junge bereits die Grundhaltung und die Basics beim Anschieben. Dies sollte mir für den Parkour einen großen Nutzen haben.
Nachdem wir uns alle im Parkour ausprobiert hatten, die ein oder andere Herausforderung bewältigten und uns alle mit dem Board ein wenig gestärkter empfanden, brachte Adrien den Fokus immer mehr Richtung Hochsprungstange. Ich hatte bereits bemerkt, wie viel Spaß die Kinder hatten, sich daran zu messen, wer stabiler in die Knie gehen konnte, um bloß nicht die Messlatte zu berühren. Diesen Ehrgeiz griff Adrien auf und senkte die Stange immer weiter ab, bis sie irgendwann nur noch knapp über dem Boden hing. Nun bestand die einzige Möglichkeit, die Latte zu unterqueren, auf dem Rücken liegend mit dem Board durchzufahren. Als geschafft galt es nur, wenn man im Anschluss auch wieder auf beiden Füßen stand und weiterfahren konnte. Dass es möglich war, wussten wir denn Adrien machte es vor. Nun hieß es für die Kinder üben, üben und nochmal üben. Während meine Versuche eher bescheiden auf dem Hosenboden endeten, nahm ich beeindruckt wahr, mit wie viel Ehrgeiz die Kinder sich mit ihrer eigenen Technik auseinandersetzten, sich selbst korrigierten, falls es nicht funktionierte und sich gegenseitig zu einem neuen Versuch bestärkten. Nach einiger Zeit hatten so gut wie alle den Dreh raus und fuhren liegend durch die ganze Halle. Etwas, was zuvor wohl keiner für möglich gehalten hätte.
Im Fokus steht das Individuum
Als sich das Training dem Ende neigte, beobachtete ich, dass ein Mädchen sich immer mehr aus der Gruppengemeinschaft abzweigte. Adrien und ich stellten gemeinsam mit ihr fest, dass ihr persönliches Leistungsempfinden und ihr Selbstbewusstsein stark davon abhing, wie gut sie ihr Können im direkten Vergleich zu ihren Mitschüler*innen empfand. Aufgrund der kleinen Gruppengröße stand sehr viel Zeit und Raum zur Verfügung während und nach der Einheit auf das Mädchen individuell eingehen zu können und mit ihr der Frage auf den Grund zu gehen, worauf es beim Sport und beim Erlernen von neuen Fähigkeiten ankommt. Ist es wichtiger, besser als jemand anderes zu sein oder wichtiger, besser zu sein als man selbst am Tag zuvor? Ich bin mir sicher, dass innere Manifestationen, die z.B. das Selbstwertgefühl betreffen, häufig nicht von einem auf den anderen Tag gelöst werden können. Ich bin allerdings nach diesem Besuch davon überzeugt, dass das Setting bei HIGH FIVE eine gute Basis ist, um gezielt auch auf solche Herausforderungen und Bedürfnisse eingehen zu können. Anders, als es vielleicht im Schulalltag der Fall ist.
Meike, Juhi und mir war es eine große Freude einmal dabei gewesen sein zu dürfen, und wer weiß…vielleicht findet der nächste Ollie dann auf dem Snowboard statt.