Projekt Kicking Girls – Interview

Allgemein, Blog, Programme

29.10.2015

Wie sind die Kicking Girls entstanden?

Entstanden sind die Kicking Girls aus einem kommunalen Projekt, das in Niedersachsen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Kooperationspartner wie dem DfB und dem Nordrheinwestfalen Ministerium gegründet wurde. Auch hier galt schon das Prinzip „Soziale Integration von Mädchen durch Fußball“ und „Fußball ohne abseits“, es war aber immer sehr regional begrenzt. 2009 kam dann Laureus hinzu und half dabei, das Bremer und 2011 das Hamburger Projekt zu starten. Nach einer Pilotphase wurde das Bundesprojekt mit zwölf Standorten in ganz Deutschland ins Leben gerufen.

Was ist das Grundkonzept des Projekts?

Kicking Girls beruht auf vier Bausteinen: Den Mädchenfußball-AGs an den Grundschulen, den Turnieren zwischen den verschiedenen Standorten, die Qualifizierung jugendlicher Mädchen als Coaches sowie den Mädchenfußball-Camps. Wir beginnen mit dem ersten Baustein, den AGs, mit vorwiegend Kindern der 3. und 4. Klasse, die für gewöhnlich weniger sport- und fußballsozialisiert sind.

Wieso ist es so wichtig, das als Schul-AG anzubieten?

Kicking Girls wendet sich vor allem an sozial benachteiligte Kinder. Diese Mädchen brauchen den Schutzraum Schule, von alleine würden sie niemals ein Sportverein besuchen oder ein Sportangebot wahrnehmen. Die Vertrauensinstitution Schule aber öffnet ihnen hier eine Tür, die sonst verschlossen ist – und ermöglicht dadurch einen wichtigen Schritt in Richtung einer gelingenden Integration. Die Kosten für diese Schul-AGs werden gänzlich vom Projekt getragen, wir stellen meist auch die AG-Leitungen. Für diese Aufgabe gewinnen wir am liebsten Trainerinnen, 70% unserer Trainer sind deshalb weiblich.

Was bietet ihr über die wöchentlichen AG-Trainings hinaus an?

Unser zweiter Baustein ist es, die Mädchen aus den verschiedenen Standorten zusammenbringen, indem wir jährlich Turniere veranstalten. Dabei entsteht ein schöner Wettkampfcharakter, dabei geht es aber nicht einfach ums Gewinnen, sondern um Fairplay, ums Mitmachen, ums Abklatschen. Jedes Mädchen bekommt am Ende des Turniers eine Medaille – für viele Mädchen ist das die einzige Auszeichnung, die sie jemals durch Sport bekommen. Hier holen wir auch häufig die Eltern ins Boot, um bei ihnen die Akzeptanz und das Vertrauen in das Projekt zu stärken und ihnen zu zeigen, was ihre Töchter erreicht haben.

Wie geht es weiter, wenn die Mädchen die Grundschule verlassen haben?

Es ist grundsätzlich schon unser Ziel, die Mädchen nach der AG in den regulären Sport zu überführen. Durchschnittlich schaffen es 10% von den Mädchen aus unseren AGs in den regulären Sportverein, was zunächst wenig klingt, aber eigentlich eine ziemlich gute Quote ist. Aber auch darüber hinaus geht es bei Kicking Girls weiter, nämlich mit der Qualifizierungsphase: Mädchen zwischen 13 und 18 können bei uns zu Coaches ausgebildet werden und dabei zum einen die Kompetenz als Co-Trainer erwerben, zum anderen aber auch die erste Motivation zu selbständigem Engagement erfahren. In der Ausbildung lernen sie zum zunächst fachlich, wie sie ein Training aufbauen, was sie dabei beachten müssen und wie Erste Hilfe aussieht. Darüber hinaus aber erleben sie das erste Mal das Gefühl, in der Verantwortung zu stehen, werden das erste Mal als Erwachsene wahrgenommen. Das ist massiv wichtig für die persönliche Entwicklung, muss aber auch nachhaltig sein. Das heißt, die Jugendlichen müssen danach auch die Möglichkeit haben, sich in die anderen Bausteine einzubringen: Wenn der Stundenplan es zulässt können sie sich einmal die Woche engagieren, bei den Turnieren helfen, Schiedsrichter sein… Generell geht es uns hier vor allem darum, die Freiwilligkeit zu fördern. Schön ist natürlich, wenn Mädchen, die früher in den AGs waren, später in der 8. Klasse wieder zu uns kommen, wenn wir auf der Suche nach Coaches sind, sich dann wieder einbringen und sich so der Kreis schließt.

Du hattest vorhin auch die Fußballcamps erwähnt?

Das ist unser vierter Baustein, der noch nicht an allen Standorten umgesetzt wird. Wir veranstalten in unregelmäßigen Abständen ein- bis zweitägige Camps, in denen der Mädchenfußball im Mittelpunkt steht. Hier können sich die Mädchen voll auf den Sport und ihr Team konzentrieren.

Was war dein persönlicher Laureus Moment bei den Kicking Girls?

Ein echtes Highlight in meiner Zeit bei den Kicking Girls war der Besuch von Jens Lehmann, unserem Schirmherrn, beim Nürnberger Projekt – und das vollkommen ohne Medienrummel. Im Rahmen eines Länderspiels schaute er beim Projekt vorbei, hat Theorie- und Praxiseinheiten mitgemacht und sich alles genau angeguckt. Das war toll für uns und für die Mädchen, zu sehen, das hier echtes Interesse der Botschafter an den Projekten besteht, auch wenn keine Presse dabei ist.

Was ist für euch die größte Herausforderung?

Am schwierigsten ist es wahrscheinlich, die Erlebnisse und Erfahrungen der Mädchen im Projekt in den Alltag zu übertragen und nachhaltig zu machen – also keine künstliche Welt zu schaffen, und wenn du rausgehst bricht alles zusammen, sondern zu bewirken dass sie das Gelernte mitnehmen. Dafür sind auch die kommunalen Strukturen wichtig. Und das hängt natürlich auch ganz extrem von den einzelnen Menschen ab, die in diesen Projekten involviert sind, davon, wie engagiert sie sind. Also: Das Konzept mit Leben zu füllen und Jugendliche zu finden, die wirklich engagiert und motiviert sind, dieses Konzept mitzutragen.

Und was treibt dich an, wenn es mal nicht so gut läuft?

Mein persönlicher Antrieb ist immer wieder zu sehen, dass es tief drin überhaupt keinen Unterschied macht, woher die Mädchen kommen und was die für einen Hintergrund haben, insbesondere im Hinblick auf die Coach-Qualifizierung. Irgendwo haben die alle dieselben Probleme, sind alle aufgeregt vor ihrem ersten Training als Coach, da ist es egal ob jemand vom Gymnasium kommt oder von der Realschule und Hauptschule. Und es ist jedes einzelne Mal toll zu sehen, wie die Mädels daran wachsen, wie sie danach zu mir kommen und staunen, mir erzählen, was für eine tolle Erfahrung das war, dass ihnen das erste Mal jemand zuhört und ihnen vertraut.

Autor:
Hannes Teetz ist Mitarbeiter des Instituts „Integration durch Sport und Bildung“ e.V. und schon seit über 4 Jahren mit der Kicking Girls-Inititative verbunden. Nach Abschluss seines Lehramtsstudiums leitet er das Projekt seit 2013. Sowohl als aktiver Spieler und Trainer hat er schon viele Erfahrung rund um den Fußball sammeln können. Durch die Kicking Girls hat sich sein Blick auf den Sport und dessen Chancen und Grenzen nochmal stark verändert.

» Allgemein, Blog, Programme » Projekt Kicking Girls – Interview
On Oktober 29, 2015
By

« »

zurück zu "Allgemein"