Selbstbestimmung statt Bevormundung: HIGH FIVE wünscht sich eine Welt, in der alle Kinder ihren berechtigten Platz finden. Kinder selbstbewusst ihren Ideen folgen, sich Ziele setzen und auch versuchen diese zu erreichen. Sie sollen Neues wagen und erstmal auf den Weg gemacht, ergeben sich meist neue Möglichkeiten. Ziele sind beweglich, eines führt zum anderen. Während wir versuchen ein Ziel zu erreichen, verändert es sich und damit wir uns selbst. Das Konzept von HIGH FIVE basiert auf der Überzeugung, dass durch Sport wichtige emotionale, soziale und integrative Fähigkeiten vermittelt werden können. In dem Sportprogramm erlernen die Kinder und Jugendlichen über die körperliche Erfahrung, die Gemeinschaft und die neuen Herausforderungen eine Vielzahl von neuen Fähigkeiten. In den Kursen lernen die Kinder das schrittweise Erreichen von selbstgesetzten Zielen, sich gegenseitig zu unterstützen und neue Talente zu entdecken. Dazu werden die sinn- und identitätsstiftenden Sportarten Skateboarden und Snowboarden genutzt.
HIGH FIVE – eigentlich liegt das Laureus Sport for Good Förderprojekt direkt vor unserer Bürotür. Doch es hat bis zur letzten Woche meines sechsmonatigen Praktikums gedauert, bis ich mir vor Ort einmal einen Eindruck verschaffen konnte. Zusammen mit Isabel (Kommunikations-Praktikantin bei unserer Stiftung) machte ich mich an einem sonnigen Nachmittag Ende August deutlich früher daran, meine Sachen zu packen und das Büro zu verlassen. Doch anstatt in den Bus nach Hause ging es Richtung Olympiapark, wo wir den Kids von HIGH FIVE im neu eröffneten Skatepark einen Besuch abstatten wollten. Die Begegnung mit dem Skateboard – für mich ein Wiedersehen nach knapp 15 Jahren.
Schon von der Ferne erkannte ich den gebrandeten Transporter, um den vier Übungsleiter und Sozialpädagogen wie eine Horde fleißiger Ameisen wuselten und das Equipment ausluden. „Die Box mit den Helmen hier rüber“, „Die Schoner müssen dort an den Zaun“, „Wo stellen wir den Tisch mit den Getränken auf?“, hörte ich die Stimmen, als ich näher kam. Das Team schien wirklich eingespielt zu sein.
Und schon wurde ich von hinten gepackt und aus meinen Gedanken gerissen. Als ich mich umdrehte, stand mit einem breiten Grinsen Adrien vor mir. Er ist schon seit mehreren Jahren Projektkoordinator bei HIGH FIVE und seit dem letzten Projektleiter- und Botschaftertreffen kein unbekanntes Gesicht mehr für mich. Dieses alljährliche Treffen fand vergangenen Juni im Europa Park in Rust statt und diente dem produktiven Austausch zwischen den Leitern der Laureus Sport for Good Förderprojekte und den Botschaftern unserer Stiftung. Toll, dass wir uns sofort wieder auf der freundschaftlichen, ja fast herzlichen Ebene begegneten, welche wir in Rust aufgebaut hatten.
Erstmal bekam jeder ein Namensschild auf die Brust geklebt, um mögliche Berührungsängste im Keim zu ersticken. Danach kamen alle in einem entspannten Sitzkreis zusammen. Mein Blick in die Runde ließ mich daran zweifeln, ob ich nicht 20 Jahre früher hätte hier auftauchen müssen. Im Durchschnitt waren alle zwischen fünf und zwölf Jahre alt. Jeder stellte sich mit seinem Namen, seinem Alter und einem Hobby vor. Adrien, der Projektkoordinator erklärte uns mit viel Witz und Humor den Ablauf der nächsten 60 Minuten und bat schließlich jeden darum, die Augen zu schließen und sich sein persönliches Ziel für die heutige Session bildlich vorzustellen – jeder für sich. Allein mit seiner Wunschvorstellung.
Nach einem Erwärmungsspiel waren auch die letzten Berührungsängste unter den Kids verschwunden, die Lachmuskeln aktiviert und wir bereit, aufs Board zu steigen.
Es folgte das große Anprobieren der Schutzausrüstung. Letzter Check: Helm, Knie-, Ellenbogen- und Handgelenkschoner – alles da. Ohne Schoner darf keiner auf das Board, auch für mich gab es keine Ausnahme. Schon bekam ich ein Skateboard in die Hand gedrückt und los ging es.
Zunächst ging es darum, ein Gefühl für das Sportgerät zu bekommen. Es ist schon verrückt, wie vorsichtig man mit Ende zwanzig ist. Früher als Profisportler war ich selbst der Draufgänger, keine Schanze zu groß, keine Fahrt schnell genug. Und nun stand ich auf einem 70 cm langen Brett mit vier Rollen, fünf Zentimeter über dem Erdboden und hatte Schiss, mich zu verletzen. Links und rechts sausten die Kids an mir vorbei – spätestens jetzt war ich mir sicher, dass es besser gewesen wäre, nicht so viele Jahre ohne Skateboard verstreichen zu lassen.
Doch nach relativ kurzer Zeit fühlte ich mich recht vertraut mit dem Board… steigerte das Tempo… fuhr engere Kurven – und das sogar über leichte Hügel und um „Steilkurven“. Ich musste mich fast zügeln, um nicht übermütig zu werden.
Wir übten das Stoppen und Switchfahren (Rückwärtsfahren), lernten verschiedene Regeln für das Verhalten in einem Skatepark kennen… ja selbst das Kurvenfahren mit häufigem Anheben der Nose (Boardvorderkante) gelang recht gut. Doch als Highlight folgte das sogenannte Bumpen. Hierbei geht das darum, durch eine abgestimmte Hoch-Tiefbewegung dem Board neuen Schwung zu verleihen, wenn man eine Quarterpipe (Rampenform) hinauf und wieder hinunter fährt. So ist es dann zum Beispiel möglich, zwischen zwei Rampen endlos hin und her zu fahren, ohne an Geschwindigkeit zu verlieren. Diese Bewegung muss genau zum richtigen Zeitpunkt erfolgen, um sich nicht selbst auszubremsen, was sich als alles andere als einfach erwies.
Aber zum Glück hatte ich Johanna an meiner Seite. Mit ihren neun Jahren war sie ein alter Hase im HIGH FIVE Programm und hatte schon an unzähligen Trainings teilgenommen. Dank ihrer Tipps gelang es mir immer häufiger, den richtigen Punkt für den Druck mit den Beinen zu finden. Abwechselnd versuchten wir die Anzahl unserer Rampenkontakte zu verbessern, was sich zu einem richtigen Wettkampf steigerte. Johanna platzte fast vor Stolz über meine Fortschritte – wahrscheinlich freute sie sich sogar noch mehr darüber als ich.
Sie erzählte mir von ihren Anfängen auf dem Skateboard, welche Ausrüstung sie sich kürzlich erst gekauft hatte, wie cool sie ihre Freunde in der Schule jetzt finden und dass sie noch viel öfter im Skatepark unterwegs sein wolle. Ich verstand erst jetzt, was HIGH FIVE für die Kids bedeutet. Nicht nur die Zeit an der frischen Luft oder die sportliche Betätigung. Nein, viel mehr sind es die Erfolgserlebnisse, die sie jede Woche sammeln, hart an ihren Zielen zu arbeiten und irgendwann diese dann auch zu erreichen. Der Stolz, der aufkommt, weil man sich durchgebissen und nicht aufgegeben hat. Ein Sturz gehört dazu – das passiert jedem, der an seine Grenzen geht. Wichtig ist nur, dass man aufsteht und es erneut versucht. Das ist es, was den Kids bei HIGH FIVE mit auf den Weg gegeben wird. Versuch um Versuch. Training um Training. Woche um Woche.
Zum Abschluss kamen alle noch einmal in einem großen Kreis zusammen. Wir fassten zusammen, was wir alles gelernt hatten und dann fragte Adrien, wer alles seinen Wunsch, oder besser gesagt sein Ziel vom Beginn des Trainings erreichen konnte. Alle Hände gingen nach oben – auch meine eigenen – und ich blickte in strahlende Kinderaugen – in diesem Moment hatte ich Gänsehaut.
„Wenn ich mir ein Ziel setze und es mir bildlich vorstelle, macht es mir dies viel leichter, mein Ziel auch zu erreichen“, fasste Adrien die Übung zusammen.
Und genau so ist es mit allen Dingen im Leben. Ich muss mir Ziele setzen, diese formulieren und mir bildlich im Kopf verankern. Dann ist es sehr wahrscheinlich, dass ich diese auch erreiche. Auch für mich beginnt momentan eine neue und spannende Zeit bei Laureus Sport for Good. Mein Praktikum ist vorbei und seit September bin ich für die Bereiche „Partnerships & Communications“ verantwortlich. Meine Ziele für diese Aufgabe habe ich klar vor Augen – ob ich diese erreiche, werde ich euch vielleicht schon in ein paar Monaten sagen können.